Neuigkeiten 2018_08 Nano s II Gefährdungseinschätzung aus der Sicht eines Arbeitsmediziners - Auszug aus meiner Anfrage an die EK (Europäische Kommission):
Seite 2 von 2: Auszug aus meiner Anfrage an die EK (Europäische Kommission):
Auszug aus meiner Anfrage an die EK (Europäische Kommission):
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Zitat Anfang:
„ Als Facharzt für Arbeitsmedizin habe ich seit fast 30 Jahren täglich mit den Themen Gefahrstoff-Management / Gesundheitsprävention / Umwelt- und Arbeitsschutz zu tun.
In diesem Zusammenhang ergeben sich aktuell zahlreiche offene Punkte und Fragen zum Thema Nanoskalige Partikel in der Umwelt, welche seit Jahren keine ausreichende Klärung und keinen Eingang in die in der EU vorhandenen Gefahrstoff-/Schadstoff-Regelungen (REACH / Chemikaliengesetz / Gefahrstoff Verordnung / etc.) gefunden haben.
In meiner Anfrage an die EK geht es vor allem um die aus meiner Sicht völlig unzureichende Geschwindigkeit der Klärung der offenen Fragen und die unzureichende Umsetzung des in der EU doch eigentlich geltenden Vorsorgeprinzips.
Es ergeben sich u.a. folgende ungeklärte Punkte:
Gefährdungsbeurteilung der nanoskaligen Partikel:
Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage der Gefährlichkeit unter Punkt 3 der Bundestagsanfrage 2016 ("Nanomaterialien sind nicht per se gefährlich für die Gesundheit") mit der Ablehnung eines Nanoproduktregisters ist zumindest aus meiner Sicht verharmlosend.
Es gibt genügend gesicherte Hinweise, dass zumindest biobeständige Nanopartikel durchaus per se ein nicht zu unterschätzendes Risikopotential (bis hin in den CMR Bereich / Kanzerogenität / Mutagenität / Reproduktionstoxizität) haben.
Und dass unterhalb von 40-50 nm neben den rein oberflächenbezogenen Aspekten noch physikochemische Sondereffekte beschrieben sind, ist auch nicht gerade beruhigend. Unter anderem finden sich Veränderungen der Enthalpie, der Starttemperatur thermisch bedingter Oxidationspozesse und ein sprunghafter Anstieg der Adsorptionskapazität (mit ggf. daraus resultierendem erheblichen Einfluss auf (Körper-) Enzymprozesse durch Bindung von Proteinen).
Hinsichtlich der potentiellen Kanzerogenität sind besonders der "19 Stäube Versuch" bemerkenswert, wo (verkürzt) selbst primär inerte Stäube in der nanoskalierten Form krebserzeugend sind.
Die ganz aktuellen Studien mit Nachweis der hohen Kanzerogenität (ähnlich dem Asbest) von faserförmigen, biobeständigen Nanopartikeln (z.B.bestimmten Carbo Nanotubes) sind ebenfalls beunruhigend.
Aus meinem Fachbereich der Arbeitsmedizin sind ebenfalls zahlreiche nanoskalierte prozessbedingte Partikel (z.B. Chrom und Nickel bei bestimmten Schweißverfahren) als hochpotente Kanzerogene bekannt.
Fehlende toxikologisch gesundheitliche Prüfung und Einstufung von Nanoprodukten:
wenn die Bundesregierung (zurecht) unter Punkt 10 der Anfrage 2016 darauf hinweist, dass Kosmetikprodukte vor dem Inverkehrbringen u.a. sicherheitsrelevante Informationen wie z.B. zum toxikologischen Profil und den Expositionsbedingungen zu übermitteln haben, warum gilt das dann nicht auch für die anderen Produkte?
Und im Kosmetikbereich ist ja vernünftigerweise auch die Verpflichtung zur Meldung etwaig nanoskaliger Produktanteile vorhanden. Weiterhin gibt es hier auch die Kennzeichnungspflicht, womit aus Sicht der Bundesregierung "Transparenz geschaffen wird".
Ist diese Transparenz nicht auch in anderen Bereichen (z.B. Lebensmittel / Beschichtungen / Medizinprodukte / Farben / etc.) notwendig?
Unzureichende Datenlage:
Die Bundesregierung der BRD spricht selbst (unter Punkt 12) von "bisher noch unzureichenden qualitativen und quantitativen Daten ... zur Freisetzung in die Umwelt".
Pointiert formuliert wird sich an dieser völlig unbefriedigenden Lage kaum etwas ändern, wenn nicht endlich verschärfte Melde- und Prüfauflagen erlassen werden.
Die durchaus auch von offizieller Seite (wie dem BMUB und UBA) gesehen Wissenslücken und Risiken können Sie u.a. in zahlreichen Publikationen der letzten Jahre sehen. Auf Wunsch stelle ich Ihnen gerne eine umfassende Auflistung zur Verfügung.
Diese Informationen stammen teils von 2013 und noch früher und es hat sich bis 2017 scheinbar leider noch nicht viel zur Klärung getan.
Gewässerökologie:
Die Bundesregierung bestätigt unter Punkt 13 teils "erhebliche direkte aber auch indirekte schädigende Effekte auf aquatische Umweltorganismen und Fische".
Auch hier fehlen jedoch die erforderlichen präventiven Schutzmaßnahmen nach den in der EU geltendem Vorsorgeprinzip (REACH: keine Daten / kein Markt).
"Umfassende und ausreichende Studien zur chronischen Wirkung auf Wirbeltiere liegen noch nicht vor".
Da ergibt sich die Frage, wie sollen diese potentiellen Risiken wissenschaftlich ohne verpflichtende Informationsangaben z.B. der Hersteller denn geklärt werden?
Arbeitsschutz:
die Antwort der Bundesregierung ("die Gefahrstoff VO enthält konkrete Vorgaben zu partikelförmigen Gefahrstoffen und zum Umgang mit Datenlücken im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz") ist so leider (sehr zurückhaltend formuliert) nicht ganz vollständig.
Sowohl das Grenzwertkonzept zum Gesamtstaub mit den anteiligen Einzelfraktionen als auch das ERB Konzept beinhaltet überhaupt keinen Bezug zu nanoskaligen Partikeln.
Es gibt weder standardisierte (bezahlbare) Messmethoden für nanoskalige Partikel, noch den Firmen zugängliche allgemeine zertifizierte Messstellen, welche überhaupt Nanomessungen machen können. Im Gegenteil führt die aktuell vorhandene Messtechnik eher zu einer massiven Unterschätzung des potentiellen Risikos (s. unten).
Bisher existieren öffentlich zugängliche Ergebnisse von Nanomessungen nur im Rahmen von IPA / IFA Studien.
Weiterhin gibt es noch keine Nano-Grenzwerte, welche eine ausreichende Gefährdungsbeurteilung ermöglichen würden.
Völlig unbefriedigend sind die erheblichen Mängeln des Einzelgrenzwertkonzeptes ohne Beachtung der in der Realität immer zu findenden Mischexpositionen mit häufig additiv oder sogar potenzierenden Schadenswirkungen der Gemische aufgrund der Überforderung des (individuellen) Ausscheidungs- und Repairsystemes des menschlichen Körpers.
Die auch nach EU Gefahrstoff Recht vorliegenden Informationen (z.B. Sicherheitsdatenblätter nach REACH Vorgaben / Expositionsszenarien) beinhalten (wieder sehr vorsichtig formuliert) nach meiner Erfahrung enorme Mängel, sodass eine ausreichende Gefährdungsbeurteilung häufig nicht möglich ist. Auch hier kann ich Ihnen auf Wunsch zahlreiche Beispiele aus meiner Praxis nennen.
Nur das Biomonitoring ist häufig die einzige Methode, relevante Inkorporationen nachzuweisen. Hierzu konnte ich als Betriebsarzt in den von mir betreuten Firmen die letzten Jahre teils besorgniserregende Ergebnisse finden. Bei völlig unauffälligem Umgebungsmonitoring (Index nach TRGS Einstufung < 0,1) fanden sich teils deutlich erhöhte Chrom-/Nickel-/ Aluminiumwerte z.B. bei Schweißern und Schlossern im Blut oder Urin (s. a. Weldox Studie). Beispielsweise über Jahrzehnte als "schadstoffarm" eingestufte Schweißverfahren (wie WIG) zeigten sowohl im Biomonitoring als auch in den IPA / IFA-Studien einen erheblichen Anteil von nanoskaligen Schadstoffen (teils bis zu 7.000.000 Partikel / cm3), welche in der bisherigen Massen Schadstoffmessung der zugelassenen Messinstitute völlig "unter den Tisch fallen".
Erst nach konsequenter Anwendung der STOP Schutzmaßnahmen (vor allem Filterhelme und Reinigungsmaschinen mit HEPA oder ULPA-Filter) gab es erhebliche Reduktionen der Inkorporationen. Hier werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die nanoskaligen Schadstoffe der Schweiß- und Schleifprozesse ursächlich sein, welche bei der bisherigen unzureichenden Gefährdungsbeurteilung keine Berücksichtigung finden.
Zusammengefasst sehe ich die in der BRD aber auch EU vorliegenden gesetzlichen Vorgaben und Informationen als nicht ausreichend zur Klärung der zahlreichen offenen Punkte und drohenden Gefahren durch nanoskalige Partikel im Umwelt- und Arbeitsbereich an.
Pointiert formuliert warten wir scheinbar wieder einmal wie die letzten Jahrzehnte ab (Stichwort Asbest / PCP / PCB / Phthalate / endokrine Disruptoren etc.) bis sich die negativen Langzeiteffekte hier der nanoskaligen Partikel auf die Gesundheit zeigen.
Das widerspricht sowohl allen gesetzlichen EU-Vorgaben (Vorsorgeprinzip / Minimierungsgebot / Informationspflichten zur Toxikologie / etc.) als auch allen ärztlichen Grundregeln der Primärprävention.
Die auch auf EU Ebene vorhandenen Aktivitäten (wie REACH Anpassung / Nano Dialog / OECD Arbeitsgruppe / etc.) haben in Ihrer jahrelangen Arbeit scheinbar noch keine wirklich aussagekräftigen Ergebnisse erbracht.
Da die Federführung und Entscheidungskompetenz alleine bei der Europäischen Kommission liegt, sehe ich Sie da in der Pflicht, schnellstmöglich Umwelt- und Arbeitsschutz-Entscheidungen im Sinne eines ausreichenden Gesundheitsschutzes für die EU Bürger zu treffen.
Weitere Verzögerungen sind aus meiner ärztlichen Sicht unverantwortlich.
Gez. Dr. med. Joern-Helge Bolle / Facharzt für Arbeitsmedizin „
Zitat Ende