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Neuigkeiten 2018_08 Nano s II Gefährdungseinschätzung aus der Sicht eines Arbeitsmediziners

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Nanopartikel
Gefährdungseinschätzung aus Sicht eines Arbeitsmediziners

(Copyright © Dr. med. Joern-Helge Bolle / weitere Verwendung nicht gestattet)

 

Der Mensch hatte schon immer Kontakt zu natürlichen Nanopartikeln wie Salzpartikeln, Vulkanasche, Brandrauche, Stäube, Mikroorganismen und diversen anderen nanoskaligen Substanzen.
Der Stoffwechsel ist also durchaus auf diese externen Expositionen und Belastungen eingestellt und kann normalerweise damit umgehen, ohne dass Gesundheitsschäden auftreten.

In den letzten Jahrzehnten sind jedoch in der Umwelt zahlreiche künstliche prozessbedingte Nanopartikel wie Dieselruß, andere Motorenemissionen, Schweißrauche, Tonerpartikel etc. hinzugekommen.
Nanoskalige Schadstoffe entstehen also z.B. bei Schweißverfahren, Gießverfahren, Kunststoffspritzen, Bearbeitung von Steinmaterialien, Metallschleifen, im Straßenbau (Bitumen), bei Beschichtungen (wie Lackieren) und sogar in der Lebensmittelproduktion (wie beim Backen von Brot und Kuchen).

Und zuletzt drängen immer mehr extra produzierte synthetische Nanopartikel auf den Markt, welche durch ihre kleine Struktur Vorteile u.a. in der Herstellung, Anwendung und Haltbarkeit von Materialien und Lebensmitteln etc. versprechen.
Hier finden sich im Alltag beispielsweise Produkte wie Sonnenmilch, Beschichtungen von Metallen und Glasmaterialien oder in der Medizintechnik.
Im Lebensmittelbereich finden sich zahlreiche Beispiele zur Verbesserung der Haltbarkeit, Textur, des Geschmackes oder der Empfindlichkeit gegenüber einer Keimbelastung.

 

Durch die zusätzliche teils erhebliche Anzahl von nanohaltigen Elementen in unserer Umwelt (Luft / Wasser / Boden) steigt also auf jeden Fall die Möglichkeit der Exposition und Inkorporation in den menschlichen Körper.

Mittlerweile gibt es erstzunehmende Hinweise von seriösen Wissenschaftlern, die den dringenden Verdacht äußern, dass die Nanopartikel zumindest als schädlicher Co-Faktor und in Einzelfällen sogar Hauptfaktor von schweren Erkrankungen wirken könnten.
Dazu gehören beispielsweise Erkrankungen des Atemwegstraktes (Nase / Bronchien / Lungenbläschen) z.B. mit der „Schweißerlunge“ oder der COPD („chronische Bronchialverengungen“) oder sogar des Lungenkrebses.
Es gibt Hinweise auf Auslösung von Allergien oder zumindest die Verstärkung von bestehenden Erkrankungen (wie beim Asthma bronchiale).
Im Herz-Kreislauf-System zeigen sich Veränderungen der Herzfrequenz, ein Eindringen der Nanopartikel in große Blutgefäße, Änderungen der Blutgerinnung und sogar Blutzerstörungen.
Effekte im Magen-Darm-Trakt und im Nervensystem sind ebenfalls in der Diskussion.

Ein Hauptproblem bei der Umweltbelastung und damit der Exposition der Menschen (und Tiere und Pflanzen) mit Nanopartikeln dürfte wohl sein, dass der Stoffwechsel auf diese große zusätzliche Menge an potentiellen Schadstoffen nicht eingerichtet ist.

 

Wie im Gefahrstoffbereich generell kann der menschliche Körper mit einer gewissen Menge an Schadstoffen im Rahmen der Aufnahme (über Lungen / Magen-Darm / Haut) umgehen. Die Verstoffwechselung (z.B. im Hauptorgan Leber) und die Ausscheidung (über die Nieren und den Darm) und die Reparatur von etwaigen Schäden (an Organen und der Erbsubstanz) funktionieren bei Gesunden so lange, wie diese Systeme nicht überfordert werden.
Bei zu vielen in den Körper aufgenommenen Schadstoffen funktioniert dieses System aber ggf. nicht mehr, es kann zu dauerhaften Schäden an Organen und der Erbsubstanz kommen, die nicht mehr reparabel sind und damit kann es zu schweren Erkrankungen bis hin zu Krebs kommen.
Und bei besonders empfindlichen Personengruppen wie Kindern, älteren Menschen oder bereits Vorerkrankten treten diese Schäden dann teilweise noch deutlich früher auf.

 

Ebenfalls problematisch ist wie immer die Tatsache, dass einerseits "Langzeiteffekte" eben erst nach langer Zeit (bei der Krebsgefahr ja durchaus erst nach über 10- 45 Jahre) auftreten und andererseits sehr schwer ursächlich 1 Substanz zugeordnet werden können.

 

Bezüglich der potentiellen Kanzerogenität (Krebsgefahr) vor allem der faserförmigen Nanopartikel (z.B. Carbo Nano Tubes) sind die 2 pathophysiologischen Hauptfaktoren einerseits (wie bei Asbest) die Fasergeometrie. Gefährlich sind vor allem die langen und sehr dünnen Fasern, welche der Körper sehr schlecht verarbeiten kann.
Andererseits mindestens so wichtig ist die Biobeständigkeit. Wie z.B. bei "Mineralfasern" ist es wichtig, ob der Körper die Fasern "auflösen" und ausscheiden kann oder eben nicht. Gefährlich sind hier bekanntermaßen die biostabilen, also nicht oder kaum auflösbaren Fasern.
Im Gefahrstoff Recht wird dieses über Untersuchungen und Einstufungen mit dem sogenannten "Kanzerogenitäts Index" geprüft und gekennzeichnet, sodass Käufer die Gefährdung (z.B. von Mineralwollen) einschätzen können.
Aber diese Vorgaben gelten ja (für mich völlig unverständlicherweise) nicht für Nanopartikel. Hier haben wir weder ordentliche Einstufungen, Kennzeichnungen noch Grenzwerte.

Andererseits haben wir es auch bei den Nanopartikeln (außer im Labor)  immer mit Mischexpositionen sowohl verschiedener (Nano-) Substanzen als auch größerskaliger Substanzgemische zu tun.
Das macht die Prüfung der Gefährlichkeit von Einzelsubstanzen so schwierig.

 

Negativ wirken die Nanopartikel auch durch die teils extrem hohe Adsorptionskapazität.

Durch diese z.B. bei Titandioxid (TiO2) bis zu 100 %ige Proteinbindung werden die Stoffwechselprozesse im Körper ggf. massiv behindert.
Diese Enzymgesteuerten Systeme kann man am besten mit den Begriffen "Stoffwechsel-Trupp" (Leberstoffwechsel) / "Ausscheidungs-Trupp" (Niere / Darm) / "Zell- und DNA-Reparaturtrupp" klären.
Wenn man sich vorstellt, dass z.B. das Hauptenzymsystem (Cytochrom P 450 Oxydoreduktasen mit seinen Isoenzymen) durch diese Adsorption teilweise oder komplett geblockt werden kann, kann glaube ich jeder verstehen, dass das ggf. nicht gut ist.

Und das Schadstoff-Mengenproblem im Körper kann man auch mit den "Trupps" erklären, wo man gut nachvollziehen kann, dass die Trupps, die z.B. eine "Personalstärke für 2  Baustellen" haben, mit 4 oder mehr Baustellen (also z.B. durch eine übermäßige Inkorporation von Nanopartikeln) einfach überfordert sein können.

Das muss dann irgendwann zu Überlastungen mit Fehlern oder Komplettversagen  dieser Schutzmechanismen enden (Mutationen / Erkrankungen wie Organversagen oder Krebs).

Ein weiterer extrem wichtiger Part ist die Abfall-Problematik des "Nanoplastiks". Dieser Müll entsteht entweder primär z.B. durch hergestellte Produkte (wie Peelingpartikel in Kosmetika im Abwasser). Andererseits wird jeder Plastikmüll in der Umwelt durch jahrelangen Abbau irgendwann zu Mikro- und dann Nano-Plastik.
Neben den für Jeden schon beeindruckenden Bildern von "makroskopisch zugemüllten Traumstränden" und "Müllkontinenten" in den Weltmeeren sind die zermahlenen und damit nicht mehr sichtbaren Nanoplastikpartikel ja noch viel schlimmer.
Einerseits durch die (primär unsichtbare) Aufnahme in die Nahrungsketten (z.B. Fisch / Mensch).
Andererseits als potentielle "Giftbomben", da diese Nanopartikel gerade aufgrund ihrer riesigen Oberfläche und Adsorptionskapazität zusätzlich noch sekundäre Schadstoffe (wie PAKs oder Schwermetalle) anlagern und damit in der Nahrungskette anreichern und zum Menschen zurückbringen können.

 

In einem Ablaufschema kann man die Gefahrstoff- und Schadstoff-Toxikologie folgendermaßen darstellen:

Zusammenfassung Gefahrstoff - Toxikologie:

  • Schadstoffinkorporation (Inhalation / Verschlucken / Hautaufnahme)
  • Individuelle Schadstoffverarbeitung im Körper („Verarbeitungs-Trupp“)
  • Individuelle Schadstoffausscheidung über Niere und Darm („Ausscheidungs-Trupp“)
  • Individuelle Zell- und Chromosomen-Reparaturen („Reparatur-Trupp“)

Schutzmaßnahmen mit dem Ziel der Minimierung der Inkorporation
(um den Körperstoffwechsel, die Ausscheidung und die Reparatur- Mechanismen nicht zu überfordern)

Schutzmaßnahmen nach der gesetzlich vorgegebenen Rangfolge STOP:

  • Substitution (z.B. Ersatz durch harmlosere Substanzen / hier Verzicht auf potentiell schädliche Nanopartikel)
  • Technik (z.B. Absaugung)
  • Organisation (z.B. Abtrennung von Schwarzbereichen)
  • PSA (geeignete (!) persönliche Schutzausrüstung)

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Zusammengefasst gibt es also leider bisher aus meiner Sicht keine ausreichenden gesetzlichen Regeln u.a. zur Untersuchung der etwaigen negativen Gesundheitsauswirkungen dieser zusätzlich in die Umwelt gebrachten Nanopartikel.
Es gilt zumindest im Umweltbereich jedoch das Verursacher- und Präventionsprinzip. Daher ist es bei dieser Datenlage eigentlich unverantwortlich, dass Hersteller seit Jahrzehnten fast unkontrolliert nanohaltige Produkte auf den Markt und damit in die Umwelt bringen, ohne deren Ungefährlichkeit nachgewiesen zu haben.
Wie schon mehrfach in der Vergangenheit (Stichworte Asbest / PAKs / Weichmacher wie Phthalate / Glyphosat / etc.) droht ggf. eine Belastung der Umwelt und damit der Gesundheit der Bevölkerung, da man die potentiellen Schäden erst nach Jahren bzw. Jahrzehnten erkennt.
Andererseits gilt in der EU eigentlich das Vorsorgeprinzip, wonach z.B. von Herstellern die Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachgewiesen werden muss, bevor die Marktfreigabe erfolgt.
Diese gesetzlichen Vorgaben werden jedoch aus meiner persönlichen Sicht bisher unzureichend umgesetzt.
Daher habe ich im März 2017 eine offene Anfrage an die zuständige EU Kommission (EK) verfasst, auf die ich bisher leider noch keine abschließende Antwort erhalten habe.

Dr. med. Joern-Helge Bolle / Facharzt für Arbeitsmedizin

 

Auszug aus meiner Anfrage an die EK (Europäische Kommission):
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