Neuigkeiten 2016_14 Drucker und Kopierer am Arbeitsplatz / Gefahrstoff Management am Arbeitsplatz
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Anmerkungen eines Arbeitsmediziners zu offiziellen Empfehlungen
Seit Jahren gibt es erhebliche Diskussionen, ob Drucker und Kopierer am Arbeitsplatz ggf. die Gesundheit der dort Arbeitenden gefährden könnten oder nicht.
Federführend für die gesundheitliche Einstufung in der BRD sind das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) und die BAUA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), welche in den letzten Jahren mehrfach Informationsbroschüren veröffentlicht haben:
• http://www.bfr.bund.de/de/gesundheitliche_beschwerden_durch_toner-8644.html
• http://www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/Faltblaetter/F43.html;jsessionid=911DA209C174C74910A41C53A01F2C7B.1_cid333
Als Arbeitsmediziner (mit Interesse an Gefahrstoffthemen) mit 27 Jahren Berufserfahrung bin ich mittlerweile jedoch bezüglich des Gefahrstoff Managementes von offizieller Seite (sowohl zum Thema „Kopierer etc.“ als auch zu noch viel bedeutsameren Bereichen „Schadstoffe in Produktionsbetrieben“ und „Umwelttoxikologie“) deutlich skeptischer geworden. Aus meiner (höchst subjektiven!) Sicht ergibt sich in der Gesamtschau sowohl von staatlicher als auch unfallversicherungsrechtlicher Seite eine gewisse Tendenz der Verharmlosung etwaiger SchadstoffGefährdungen.
Aus fachärztlicher Sicht ergeben sich u.a. folgende Diskussionspunkte:
• Fehlende toxikologische Einstufungen:
von in der EU erhältlichen über 40.000 Einzelsubstanzen sind grob geschätzt nur etwa 400mehr oder minder toxikologisch untersucht und in Grenzwertlisten eingestuft.
Und selbst diese Untersuchungen entsprechen nicht immer aktuellen Qualitätsstandards.
Zu den anderen Stoffen liegen überhaupt keine relevanten Daten vor.
• Fehlende toxikologische Einstufung von Gemischen:
in der Praxis gibt es (bis auf Sonderfälle wie im Chemielabor) so gut wie keine Einzelstoffe. Z.B. Toner / Farben / Reiniger / Lösemittel / Kühlschmierstoffe / Öle und Fette sind eigentlich immer Gemische (von Teils über 50 Einzelsubstanzen). Manchmal sind selbst dem Hersteller nicht mehr alle Inhaltsstoffe bekannt, z.B. wenn er verschiedene Chargen von verschiedenen Vorlieferanten erhält und zusammenmischt.
Einzelne Versuche von Behördenseite, die Gemische doch zusammen einzustufen (z.B. Grenzwert Kühlschmierstoffe), sind aufgrund der Komplexität mehr oder minder gescheitert und abgebrochen worden.
• Fehlende praktische Umsetzung der Informationspflicht der Hersteller / Lieferanten:
eigentlich sind die Hersteller seit Jahren verpflichtet, aussagekräftige Sicherheitsdatenblätter nach dem EU Gefahrstoffrecht REACH mitzuliefern. Aus den verschiedensten Gründen (u.a. fehlende Fachkenntnis / hohe Kosten einer qualitativ ausreichenden Erstellung / manchmal wohl auch bewusstes Verbergen schädlicher Wirkungen des Produktes / etc.) sind jedoch zahlreiche Sicherheitsdatenblätter teilweise oder komplett unbrauchbar. Diese Mängel innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Plausibilitätsprüfung beim Anwender nach Gefahrstoff Verordnung kann man jedoch nur als Fachmann herausfinden. Die normalen Kunden / Sicherheitsfachkräfte etc. sind damit völlig überfordert. Und selbst wenn die Informationen gesetzeskonform erstellt sind, gibt es viele „Tricks“, etwaige Risikosubstanzen nicht namentlich nennen zu müssen. Innerhalb von Gewichtsprozentgrenzen (< 0,1 %/ < 1 % / < 10 %) und unter Verweis auf ein Rezepturgeheimnis versuchen viele Hersteller, keine überprüfbaren Substanznahmen zu nennen. Stattdessen stehen dort Begriffe wie „Lösemittelgemisch“ oder wenn man Glück hat etwas genauer „Gemisch von aliphatischen Lösemitteln“ o.ä..
• (Praxisfernes) Grenzwertkonzept auf der Basis von Einzelsubstanzen:
Schon die toxikologischen Untersuchungen für einzelne Stoffe sind hinsichtlich ihrer Aussagekraft stark umstritten.
Bei Tierversuchen gibt es auch wieder „Tricks“, etwaig vorhandene Schädigungspotentiale je nach Zielsetzung der Studie über die Auswahl der Versuchstiere und innerhalb der Tierart entweder akzentuiert oder abgeschwächt darzustellen. Dazu muss man nur entsprechende „sensible“ oder „resistente“ Tierreihen auswählen. Doch selbst bei seriöser Auswahl der Versuchstiere gelten die aus diesen Untersuchungen abgeleiteten Grenzwerte eigentlich nur für die untersuchte Art. Bei der Contergan Katastrophe gab es beispielsweise das Problem, dass alle Versuchstiere (welche auch aktuell für Toxikologie Untersuchungen Verwendung finden) teils das 10-300 fache der Substanz Thalidomid vertrugen, bevor es zu den fatalen Missbildungen bei den Nachkommen kam. Selbst Affen vertrugen die 10 fache Menge. Keine Reaktion im Tierversuch heißt also nicht direkt auch harmlos für den Menschen. Per se wünschenswerte Zellkulturversuche oder Computersimulationen zur Vermeidung von Tierversuchen sind allerdings noch schlechter in der Lage, den komplexen GefahrstoffStoffwechsel des menschlichen Körpers zu überprüfen.
• Fehlendes Grenzwertkonzept für in der Praxis vorkommende Gemische:
es gibt so gut wie keine gesetzlichen Vorgaben, wie mit komplexen Schadstoffgemischen (z.B. Laserdruckerstaub / Schweißrauche / Lösemitteldämpfe) umgegangen werden soll. Und selbst die wenigen allgemeinen Grenzwerte (wie Gesamtstaub / E- und A-Staub) kennen
die letzten Jahrzehnte eigentlich nur eine Richtung der Entwicklung, nämlich immer wieder Senkung (Motto: „Uups, war wohl doch gefährlicher als gedacht“ / bei Gesamtstaub von 10 mg/m3 auf mittlerweile 1,25 mg / m3). Und die jeweilige Einzelbetrachtung der etwaig bekannten Grenzwerte, um dann (teilweise in hochwissenschaftlich aussehenden komplexen Formeln) eine Summenbewertung zu versuchen, hilft auch nicht wirklich weiter. Hier geht man allein von additiven Effekten aus, in der Natur gibt es vor allem bei Overload Bedingungen jedoch häufig auch sich potenzierende Schadstoffeffekte. Wie groß ist denn das Risiko einer Exposition mit z.B. 3 Stoffen mit "Grenzwerten", bei denen der einzelne Grenzwert jeweils so gerade eben eingehalten ist (bei ggf. noch Nutzung der gleichen Iso-Enzymwege im menschlichen Körper zur Schadstoffverarbeitung und - ausscheidung / Stichwort Overload / individuell erhebliche Variation der Isoenzymkapazitäten)?
• Fehlende Berücksichtigung der individuellen Schadstoff Empfindlichkeit:
unter Bezug auf die aktuelle toxikologische Standardliteratur (z.B. „Toxikologie“ von Marquardt/Schäfer/Barth) wird klar, dass jedes Individuum völlig anders mit (Iso-)Enzymen ausgestattet ist. Diese Variationsbreite der Schadstoffempfindlichkeit führt dazu, dass (unter Beachtung von Cofaktoren wie Rauchen und anderen privaten Expositionen) der SchadstoffStoffwechsel (Aufnahme / Verteilung im Körper / Verarbeitung z.B. in der Leber / Ausscheidung über Nieren und Darm) eine Spannbreite von Gefahrstoffeffekten zeigen kann. Von fehlendem Schaden auf der einen Seite („mein Opa ist als Kettenraucher 99 Jahre geworden“) bis hin zu fatalen Erkrankungen („Krebs/ 1 Asbestfaser reicht“) auf dem anderen Skalenende finden sich alle Zwischenstufen. Alle Grenzwertkonzepte beziehen sich (mit Sicherheitsfaktoren) auf Bevölkerungsdurchschnitte und missachten etwaig sensitive Einzelpersonen. Bei der ERB-Begründung (Expositions-Risiko-Beziehungen) zu Benzol in BekGS 910 der BAUA (Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin) ist erstmalig von Aufsichtsseite akzeptiert worden, dass es Menschen mit 20fach höherer Empfindlichkeit gibt.
• Fehlende Messmethoden:
in der BRD gibt es für Schadstoffmessungen jedes Jahr neue Listen für zugelassene Messinstitute. Das klappt (z.B. bei BG Messungen in den Betrieben) für den Nachweis z.B. von gasförmigen Substanzen auch ganz gut. Hier kann es nur dann zu Fehleinschätzungen kommen, wenn in der Präanalytik (fehlende Infos über die Schadstoffe bei schlechtem Datenblatt) oder in der Analytik Mängel auftreten (falsche Messmethode / (manchmal auch bewusst) Messung bei offenen Toren an Tagen, wo gar keine relevante Belastung vorliegt / etc.) und damit gewollt oder ungewollt Fehlplanungen vorkommen. Verschwiegen wird ein riesiger Mangel in den fast immer relevanten Messungen von partikelförmigen Substanzen (wie z. B. beim „Druckerstaub“/ Schweißrauchen/ etc.). Die gesundheitlichen Schäden entstehen nach aktueller Forschung vor allem durch sogenannte nanoskalige Anteile (vor allem im Bereich von 1-100 nm). Hier gibt es zur Zeit in der BRD kein frei zugängliches Messinstitut, welches die dem Arbeitgeber vorgeschriebenen Schadstoffmessungen machen kann. Nur einzelne Fachlabore (der BG und z.B. von Chemiefirmen) sind gerätetechnisch und personell dazu in der Lage. Das trotzdem Messungen (z.B. Schweißrauchanalysen von BG Seite) erfolgen, ist eigentlich sogar kontraproduktiv. Da die gesundheitlich relevanten Nanos mit den veralteten Standardmessmethoden z.B. gar nicht abgebildet werden können, scheint z.B. die Produktionshalle mit Schweiß- und Schleifarbeiten „sauber zu sein“ (z.B. Index 0,1 nach TRGS 400 Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen). Wenn man sich dann als Arbeitsmediziner „traut“, teure und aufwendige Biomonitoring Untersuchungen zu machen, erlebt man mit Nachweis von zahlreichen Schadstoffen (wie Chrom / Nickel / Aluminium im Blut und Urin der Arbeitnehmer) teilweise böse Überraschungen.
Auf diese Missstände habe ich viele Beteiligte (wie Bundesministerien / Bg Fachausschüsse / etc.) hingewiesen. Eine lösungsorientierte Antwort habe ich leider nicht erhalten (Motto: „ist zur Zeit leider nicht zu ändern“)
• Fehlender Grenzwert für Nanopartikel:
Und selbst wenn man in der Lage wäre, verlässliche Messergebnisse bei nanoskaligen Substanzen (wie Druckerstaub / Schweißrauche / etc.) zu erhalten, kann man diese wegen fehlender Grenzwerte gar nicht gesundheitlich bewerten. Die bisherige Fachliteratur zeigt jedoch in Summe ein nicht zu unterschätzendes großes Gefahrenpotential auf.
Zusammenfassend gibt es im Gefahrstoff-/Schadstoffbereich sehr vorsichtig formuliert noch sehr viele offene Fragen und Aufgaben.
Die vom Gesetzgeber und den Behörden erstellten“ Lösungen“ zeigen aus meiner persönlichen Sicht viele „Scheinsicherheiten (Grenzwerte mit mehreren Nachkommastellen / Formeln / etc.), um alle Seiten zu beruhigen“.
Zugegebenermaßen sind die Risiken im Bürobereich zur Staubbelastung durch Drucker / Kopierer / etc. im Vergleich zu Mitarbeitern in der Produktion sehr gering. Als Hintergrundbelastung für nanoskalige Stäube findet man ca. 20.000 Partikel / cm3 (! Nicht m3 wie bei anderen Grenzwerten). Durch Drucker etc. kann es einen Anstieg auf ca. 60.000 Partikel / cm3 je nach Modell kommen. Bei Schweiß- und Schleifarbeiten gibt es jedoch bis zu 1-10.000.000 Partikel / cm3!!! Allerdings sind erheblich mehr Arbeitnehmer (und Privatleute, u.a. auch Kinder und Personen mit Vorerkrankungen) durch diese Geräte exponiert und selbst die sehr zurückhaltenden Vorschläge zur Schutzmaßnahmen des BFR und der BAUA sind im Großteil der Büroräume nicht umgesetzt.
Daher ist aus meiner Sicht das gesetzlich vorgeschriebene Minimierungsgebot bei unbekannten Substanzen und bekannten krebserzeugenden, mutagenen und reproduktionstoxischen Stoffen und Gemischen nach dem STOP Schutz Prinzip umzusetzen.
S steht für Substitution (z.B. statt Laserdrucker nach aktuellen Studien wohl harmlosere Büro Groß Tintenstrahldrucker).
T steht für Technik (z.B. Ozon- und Staubminderung im Gerät oder Raumabsaugungen).
O steht für Organisation (z.B. Auslagerung des Druckers in Räume ohne ständige Arbeitsplätze).
P steht für PSA (persönliche Schutzausrüstung), wobei im Büro das Tragen von Staubschutzmasken ja wohl kaum in Frage kommt.
Von diesem Ziel sind wir jedoch sowohl im Büro- als auch Produktionsbereich der Firmen in der BRD (und in vielen Privatbereichen) noch kilometerweit entfernt. Man kann jedoch mit beharrlicher Empfehlung und zumindest mittelfristiger Umsetzung des STOP Schutzmaßnahmen-Prinzips durchaus enorme Verbesserungen der Bedingungen am Arbeitsplatz erreichen, „ohne dass der Produktionsstandort BRD geschlossen werden muss“. Dieses konnte ich in einigen von mir als Betriebsarzt betreuten Produktionsfirmen mit massiven Reduktionen der Schadstoffbelastungen der Arbeitnehmer über das kontinuierliche Biomonitoring nachweisen. Es lohnt sich also, über die kontrollierte Anwendung des gesetzlichen SchadstoffMinimierungsgebotes unsere Beratungskraft zum Wohl unserer Schutzbefohlenen einzusetzen.