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Neuigkeiten 2016_17 Vinylchlorid VC und die Gefäße

Was macht Viylchlorid so gefäßaffin?

Warum entstehen die strukturellen Kapillarveränderungen mit akralen Durchblutungsstörungen,

Warum die Hämangiome und Hämangiosarsarcome,

auch wenn es nicht die einzigen Tumortypen sind?

 

Hier die Daten zum Stoff:

Vinylchlorid  = Chlorethen, Monochlorethylen, Chlorethylen, VC, R 1140 (Frigen)

chemische Formel H2-C=C-HCL

 

Verwendung:

Der Hauptverwendungszweck von Vinylchlorid ist die Herstellung von Polyvinylchlorid PVC (2004 rund 38 Millionen Tonnen).Dies geschieht mittels radikalischer Polymerisation. Früher wurde Vinylchlorid auch unter diversen Namen als Kühlmittel verwendet.

Polyvinylchlorid, kurz PVC, ist ein amorpher thermoplastischer Kunststoff. PVC ist hart und spröde und wird erst durch Zugabe von Weichmachern und Stabilisatoren weich, formbar und für technische Anwendungen geeignet. Bekannt ist PVC durch seine Verwendung in Fußbodenbelägen, zu Fensterprofilen, Rohren, für Kabelisolierungen und -ummantelungen sowie für Schallplatten, die in der Umgangssprache häufig auch „Vinyl“ genannt werden.


chemische Eigenschaften:

Extrem entzündbares Gas, farblos, süßlicher, chlorartiger Geruch. Bildet mit Luft explosive Gemische. Mäßig löslich in Wasser. Gas ist schwerer als Luft. Es kommt unter Druck, in flüssigem Zustand, stabilisiert mit Hydrochinon oder Phenol in den Handel. Chemisch instabil bei erhöhter Temperatur. Beim Verdampfen der sehr kalten Flüssigkeit oder beim Entspannen des Gases bilden sich kalte Nebel, die sich am Boden ausbreiten.

Kann Peroxide O22- und Epoxide (Chloräthylenoxid) bilden. Es tritt als kurzlebiges Produkt in biochemischen Prozessen auf und gehört zu den Zellgiften. Die Toxizität beruht auf Veränderungen von Proteinen, Membranlipiden und DNA durch oxidative Reaktionen der Per- / Epoxidoxidionen.

 

Zersetzungsprodukte:Kohlenmonoxid CO, Phosgen COCl2, Chlorwasserstoff HCl

 

Aufnahme in den Körper:

Der Hauptaufnahmeweg für Vinylchlorid (VC) verläuft über den Atemtrakt.

An Freiwilligen wurde bei VC-Expositionen zwischen 3 und 24 ppm eine mittlere Retention von 42 % bestimmt. Individuell war die Retention mit Werten zwischen 20 und 79 % (bei 12 ppm) jedoch recht unterschiedlich. Dagegen hatte die Expositionshöhe keinen Einfluß. Eine Studie an Rhesus-Affen, die über 2 - 2,5 h Ganzkörperexponiert waren (außer dem Kopf), ergab bei Konzentrationen von 800 oder 7000 ppm VC eine Resorption über die Haut von nur 0,031 bzw. 0,023 %. Es wird davon ausgegangen, daß die dermale Aufnahme des Gases über die Haut auch beim Menschen geringfügig ist.

Eine orale VC-Aufnahme ist nur mit kontaminierter Nahrung und Getränken vorstellbar (heute übliche PVC-Verpackungen setzen allerdings keine nennenswerten Mengen VC frei). Es wird von einer vollständigen Resorption ausgegangen.

Stoffwechsel:

Resorbiertes VC wird bei niedrigen Expositionen schnell und vollständig verstoffwechselt. Die Hauptmetabolisierungswege beginnen mit der Umsetzung zum Chlorethylenoxid, einem hochreaktiven Epoxid. Dieses kann sich zum Chloracetaldehyd umlagern, das teilweise zur Chloressigsäure oxidiert wird. Alle 3 Metaboliten bilden Glutathion-Konjugate, die weiteren Folgereaktionen unterliegen. Aus den Chlorethylenoxid- und Chloracetaldehyd-Konjugaten entsteht letztlich harngängiges N-Acetyl-S-(2-hydroxyethyl)-cystein. Chloressigsäure wird über die Glutathionbindung zu S-Carboxymethylcystein und weiter zu Thioglykolsäure (Thiodiessigsäure) umgesetzt.
Der Metabolismus hat sich in Tierexperimenten als sättigbar erwiesen (für Rhesus-Affen etwa bei 380 ppm). Bei höheren Konzentrationen wurde unverändertes VC abgeatmet.
Als Parameter zum Biological Monitoring von VC-Exponierten wurde die Bestimmung von Thioglykolsäure im Urin (EKA-Wert) empfohlen.
Die genotoxischen, kanzerogenen, aber auch die chronisch-toxischen Wirkungen werden insbesondere den reaktiven Metaboliten Chlorethylenoxid und Chloracetaldehyd angelastet. Chlorethylenoxid bewirkt eine direkte DNA-Alkylierung, woraus Basenpaarsubstitutionen resultieren, die letztlich zur neoplastischen Transformation der Zelle führen können. Sie wurden in VC-induzierten Tumoren sowohl beim Menschen als auch beim Versuchstier nachgewiesen.

akute Schäden:

Unterkühltes, verflüssigtes VC (z.B. freigesetzt aus Druckbehältern) kann an Augen und Haut infolge des starken Wärmeentzuges beim schnellen Verdunsten lokale Erfrierungen (beschrieben wurden Rötung bis verbrennungsähnliche Gewebsveränderungen) verursachen.
Hinweise auf irritative Wirkungen von gasförmigem VC fanden sich nur bei sehr hohen (letalen) Konzentrationen.
Die akute systemische Toxizität des VC ist sehr gering.
Bei höheren Konzentrationen werden Störungen im Zentralnervensystem deutlich. Testpersonen (n = 6), empfanden bei 5 min Belastung mit 16000 ppm oder 20000 ppm VC Schwindel, Kopfschmerz, Sehstörungen und Abschwächung des Hörvermögens. Nach Abbruch der Exposition waren die Symptome schnell reversibel. Bei 8000 und 12000 ppm über 5 min trat nur das eine oder andere Symptom ohne Konzentrationsbezug auf. Die in verschiedenen Studien ermittelten Geruchsschwellenwerte variierten in einem sehr weiten Bereich von 10 bis 25000 ppm. Offensichtlich kann auch Gewöhnung eintreten.
In den wenigen berichteten Intoxikationsfällen wurden gleichfalls ZNS-Symptome (wie Schwindel, Desorientiertheit) beschrieben. Ab ca. 10000 ppm besteht die Gefahr, daß schon in kurzer Zeit Bewußtlosigkeit und auch Herzarrhythmien auftreten, die schnell lebensbedrohlich werden.
Tierexperimente belegten, daß VC in so hohen Konzentrationen eine Sensibilisierung des Herzens gegenüber Katecholaminen bewirken kann.
In 2 schweren Vergiftungsfällen führte wahrscheinlich durch Narkose induzierter Atemstillstand zum Tod. Die Autopsie zeigte Blutansammlung in Lunge und Nieren sowie Störungen der Blutgerinnung.

chronische Schäden:

In den Jahren vor 1974 waren VC-Expositionen gegenüber 1000 ppm über einen Monat bis zu mehreren Jahren nicht ungewöhnlich. Diese haben in vielen Fällen zur "Vinylchlorid-Krankheit" geführt, die - individuell variierend - folgenden Symptomenkomplex umfassen konnte: Ohrenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, verschwommenes Sehen, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Atemnot, Magenschmerzen, Schmerzen im Leber-/Milzbereich, Schmerzen und Kribbeln/Kältegefühl in den Extremitäten, Verlust von Libido und Körpergewicht.

Klinisch waren erkennbar: Haut-/Gefäßveränderungen an den Fingern (Sklerodermie-ähnliche/artige Veränderungen der Kapillaren in der Kapillarmikroskopie und Angiographie nachweisbar) mit nachfolgenden Knochenveränderungen in den Fingerspitzen (Akroosteolyse),

periphere Durchblutungsstörungen (ähnlich dem Raynaud-Syndrom),

Leber- und Milzvergrößerung mit spezifischen histologischen Befunden sowie Atemstörungen. Bei den Betroffenen fanden sich häufig auch immunologische / hämatologische Veränderungen (Thrombozytopenien, Gerinnungsstörungen und Hyperimmunoglobulinämie), die als eigentliche Ursache der spezifischen Veränderungen im Gefäßsystem und der Haut diskutiert werden.
Einzelne Studien berichteten auch über neurophysiologische Störungen (sensorisch-motorische Polyneuropathie, motorische Störungen, sensorische Neuropathie des N. trigeminus) sowie psychische Befunde (Neurasthenie, Depression). Ein ursächlicher Zusammenhang von VC-Exposition und chronischer Nervenschädigung ist jedoch nicht eindeutig belegt.
Aufgrund der seit Bekanntwerden der kanzerogenen Wirkung von VC deutlich abgesenkten Expositionen sind entsprechend ausgeprägte Krankheitsbilder heute nicht zu erwarten.
Im Hinblick auf geringe Expositionen wurde auch aus tierexperimentellen Studien abgeleitet, daß die Leber als Hauptzielorgan der chronischen Toxizität gelten sollte.
Für Nager fand man den LOAEL bei 50 ppm über 12 Monate.
Neuere Untersuchungen an Beschäftigten mit heute üblicher geringerer VC-Belastung ergaben bezüglich der Beeinflussung von Leberfunktionsparametern keine einheitlichen Befunde; einige Studien sind wegen methodischer Mängel (Confounder nicht berücksichtigt) nicht hinreichend aussagefähig.
In einer jüngst publizierten, validen Studie an Arbeitern der VC/PVC-Produktion mit mittlerer Expositionszeit von 19 Jahren und kumulativen VC-Belastungen in ppm x Jahr von: 1-10 (n=281), 11-100 (n=214), 101-1000 (n=104), >1000 (n=72) konnte kein Zusammenhang zwischen kumulativer oder maximaler VC-Exposition und Abweichungen der Leberfunktionsparameter festgestellt werden. Es wurde geschlußfolgert, daß Leberfunktionstests bei heute üblichen niedrigen Expositionen keine Hinweise auf VC-induzierte Leberschäden geben können.
Leberfunktionstests wurden aber empfohlen, um anderweitige Lebererkrankungen zu erkennen, die im Hinblick auf die hepatokanzerogene Wirkung des VC einen vorbeugenden Ausschluß jeglicher VC-Expositionsmöglichkeit nahelegen.

VC erwies sich an Soma-Zellen des Menschen als klastogen (Induktion von Chromosomenaberrationen, SCE und Mikrokernen) und mutagen (Nachweis von Punktmutationen in p53- und ras-Genen in VC-induzierten Lebertumoren). Auch die Befunde in Tierversuchen belegen einen genotoxischen Mechanismus der durch VC induzierten Tumorenbildung.
Eine mutagene Wirkung an Keimzellen war nicht nachweisbar
Eine kanzerogene Wirkung beim Menschen wurde nachgewiesen.
In epidemiologischen Studien an beruflich Exponierten wurde ein Zusammenhang von VC-Exposition und der Ausbildung von Leberkrebs (insbesondere von Angiosarkomen, selten auch von Leberzellkarzinomen und Gallengangstumoren) nachgewiesen.
Das diesbezügliche Risiko wird bei einer Belastung mit 1 ppm VC über die Lebensarbeitszeit auf 3 x 10Exp.-4 geschätzt.

Für die Induktion von Tumoren anderer Lokalisation (Lunge, Hirn, lymphatisches und hämatopoetisches System sowie maligner Melanome) beim Menschen gibt es bisher nur schwache Hinweise.

 

Hinweise aus Tierversuchen:

In extensiven Versuchen exponierte MALTONI (93, 94 ca. 1.5oo Tiere (hauptsächlich Ratten, ferner Mäuse und Hamster) gegenüber 1 ppm bis 3o.ooo ppm Vinylchlorid (in der Regel 4 Stunden pro Tag, 5 Tage pro Woche,
5 bis 52 Wochen).

Es zeigte sich eine Vielzahl von Tumoren, gleichzeitig wurden Speziesunterschiede hinsichtlich der Tumorlokalisation und der Tumorhäufigkeit sichtbar.
Bei Ratten wurden die folgenden Tumorarten gefunden:
Karzinome der Zymbal'schen Drüse (modifizierte, den Ohrgrund umschließende Talgdrüse, die in den äußeren. Gehörgang mündet), Nephroblastome, Angiosarkome und Angiome der Leber und anderer Organe, Hautkarzinome, Hepatome und Neuroblastome des Gehirns.

Bei Mäusen wurden hervorgerufen: Lungenadenome, Mamma-Karzinome, epitheliale Hauttumoren und Leberangiosarkome. Bei
Hamstern zeigten sich die folgenden Tumoren: Leberangiosarkome und wahrscheinlich Trichoepitheliome der Haut und Lymphome.
Bei Mäusen und Ratten wurde ein karzinogener Effekt sogar bei Konzentrationen von 5o ppm Vinylchlorid in der Expositionsatmosphäre nachgewiesen.

Weiterhin fand MALTONI eine Abhängigkeit der Häufigkeit eines Angiosarkoms bzw. eines Nephroblastoms von der Höhe der Exposition im Bereich von Vinylchlorid-Konzentrationen zwischen 5oo und So ppm bzw. 25o und 5o ppm. Bei vergleichbaren Experimenteil bestand eine Abhängigkeit der Häufigkeit von Angiosarkomen und Nephroblastomen von der Länge der Vinylchlorid-Exposition.

Analoge Untersuchungen führten KEPLINGER und Mitarbeiter durch (74) und bestätigten im wesentlichen die Untersuchungsergebnisse von MALTONI.

 

 

Grenzwerte:

Verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwert (Luft) der Europäischen Gemeinschaft - 8-Stunden Mittelwert: 7,77 mg/m³ (3 ppm)

Ein Arbeitsplatzgrenzwert nach TRGS 900 ist momentan in Deutschland für Vinylchlorid nicht festgelegt. Vinylchlorid befindet sich aber auf der Bearbeitungsliste des Ausschusses für Gefahrstoffe (Stand September 2014) mit dem Ziel einen Arbeitsplatzgrenzwert für die Aufnahme in die TRGS 900 vorzuschlagen oder eine Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) nach TRGS 910 abzuleiten.Vinylchlorid ist als krebserzeugend der Kategorie K1 (Stoffe, die beim Menschen bekanntermaßen krebserzeugend wirken) eingestuft.

 

Quellen:

Buchter A. Erarbeitung einer speziellen arbeitsmedizinischen
Überwachungsuntersuchung in Korrelation zur individuellen Vinylchlorid-Exposition. FORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN - Nr. 2813/Fachgruppe Medizin; Herausgegeben vom Minister für Wissenschaft und Forschung. Westdeutscher Verlag 1979:
scidok.sulb.uni-saarland.de/.../Buchter._Erarbeitung_einer_speziellen_a._A._.K.1.pdf

Falappa P, Magnavita N, Bergamaschi A, Colavita N. Angiographic study of digital arteries in workers exposed to vinyl chloride. Br J Ind Med 1982;39:169-172 doi:10.1136/oem.39.2.169

GESTIS-Stoffdatenbank: http://gestis.itrust.de (Vinylchlorid)

Langauer-Lewowicka H. Nailfolds capillary abnormalities in polyvinyl chloride production workers. Int. Arch Occup Environ Heath (1983) 51: 337. doi:10.1007/BF00378346

Lopez V, The long-term effects of occupational exposure to vinyl chloride monomer on microcirculation: a cross-sectional study 15 years after retirement. BMJ Open 2013;3:e002785 doi:10.1136/bmjopen-2013-002785

WIKIPEDIA: https://de.wikipedia.org/wiki/Vinylchlorid und https://de.wikipedia.org/wiki/Peroxide sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Polyvinylchlorid